Lieferkettengesetz

Im Jahr 2011 haben die Vereinten Nationen (UN) die „UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ beschlossen. Damit sollte der Kampf gegen Kinderarbeit, Sklaverei und Ausbeutung ausgeweitet werden. Die Bundesregierung hat darauf reagiert, indem Sie 2016 den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verabschiedet hat, um die UN-Prinzipien umzusetzen. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD von 2018 hat man sich darauf verständigt, national gesetzlich tätig zu werden und sich für eine EU-weite Regelung einzusetzen, wenn freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen bis 2020 nicht ausreichen. Das Ergebnis einer Befragung der Bundesregierung bei deutschen Unternehmen 2020 hat letztlich Teile der Bundesregierung dazu veranlasst, das Projekt eines nationalen Lieferkettengesetzes voranzutreiben. 

Menschenrechte sind unverhandelbar und ihre Einhaltung sowie Durchsetzung ist im Interesse der gesamten Gesellschaft, einschließlich der Wirtschaft. Viele deutsche Unternehmen investieren und engagieren sich weltweit und tragen dadurch zu mehr Wohlstand und einer besseren Lebenssituation für viele Menschen im Ausland bei. 

Insbesondere in der aktuell aufgrund der Corona Pandemie schwierigen Lage der deutschen Wirtschaft, ist es unerlässlich den Handel nicht durch bürokratische Hürden zu erschweren. Unternehmen sind gerade jetzt darauf angewiesen, dass der Gesetzgeber sich intensiv mit ihren Belangen auseinandersetzt und nicht einseitig Maßnahmen beschließt, die geeignet sind, globales Wirtschaften zu erschweren. Aus diesem Grund betont NORDHANDEL den Willen, im Dialog mit den verantwortlichen Stellen, geeignete Lösungen auf europäischer Ebene konstruktiv zu begleiten. 

NORDHANDEL fordert:

  • dass die Verantwortung für die Einhaltung von Sorgfaltspflichten nicht einseitig auf die Privatwirtschaft verlagert wird.
  • dass statt eines nationalen Lieferkettengesetzes eine zumindest europäische Lösung angestrebt wird.
  • dass, die Umsetzbarkeit eines etwaigen Gesetzes sichergestellt wird.
  • dass, Haftungsklagen für die Zustände in der Liefer- und Wertschöpfungskette ausgeschlossen werden, sowie eindeutige rechtssichere Angaben über die Pflichten von Unternehmen formuliert werden. 
  • dass sowohl Bürokratieaufwuchs sowie dessen Weitergabe von großen an kleine- und mittelständische Unternehmen (KMU) ausgeschlossen wird.
  • dass bereits bestehende Zertifizierungen und Engagements berücksichtigt werden. 

Verantwortung richtig erkennen, Umsetzbarkeit sicherstellen & international handeln

Unternehmer in Deutschland handeln verantwortungsvoll und nehmen ihre Pflichten sehr ernst. Weltweit tragen sie durch ihr unternehmerisches Engagement im Ausland zu erfolgreichen ökonomischen Entwicklungen in Drittstaaten bei. Die Verantwortung für die Einhaltung der von den Vereinten Nationen aufgestellten Leitlinien zu Wirtschaft und Menschenrechten liegt nicht allein bei der Privatwirtschaft. Aus diesem Grund ist es auch nicht zielführend, diese Verantwortung allein dort zu platzieren. In erster Linie obliegt es der Politik, sich mit den ihr zur Verfügung stehenden und wirkmächtigen Mitteln für die Durchsetzung von Menschenrechten im Ausland einzusetzen. Deshalb darf ein Gesetz über Sorgfaltspflichten international handelnder Unternehmen nicht dazu führen, die Politik aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Unternehmen dürfen keine Pflichten in Bezug auf die Einhaltung von Menschenrechten im Ausland auferlegt werden, die bisher von der Politik nicht gelöst werden konnten. 

Unsere Unternehmen leben von weltweiten Lieferketten und einer global agierenden Wirtschaft. Gerade vor diesem Hintergrund ist es von besonderer Bedeutung Regelungen zu treffen, die erstens nicht daran scheitern, dass sie wegen nationaler Begrenzung keine Wirkmächtigkeit erzielen und zweitens aufgrund nationaler Alleingänge zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für Unternehmen führen. Ein nationales Lieferkettengesetz würde Unternehmen, die auf internationalen Märkten agieren, Nachteile verschaffen. Dies gilt es zu verhindern, indem statt einer nationalen eine zumindest europäische Lösung forciert wird.
Egal wie ambitioniert ein Gesetzesvorhaben und der damit verbundene Wunsch für Verbesserung ist, solange es sich nicht an realistisch umsetzbaren Zielen orientiert, verliert es jeden Sinn. Lieferketten beziehungsweise Liefernetze, in die der Groß- und Außenhandel eingebunden ist, wachsen mit der Komplexität der Produkte erheblich. So ist es vielfach schlicht unmöglich, jede einzelne Lieferkette vollständig zu erfassen. Ein etwaiges Gesetz sollte sich daher allein auf Menschenrechtsfragen und direkt überprüfbare Zulieferer beschränken. 

Verhältnismäßigkeit und Mittelstand im Blick behalten 

Unternehmen haften selbstverständlich für eigenes rechtswidriges Verhalten, ob im In- oder im Ausland. Jedoch haften sie nicht für das Verhalten unabhängiger Dritter, auch dann nicht, wenn zu diesen Dritten eine Geschäftsbeziehung besteht. Unter keinen Umständen darf ein Sorgfaltspflichtengesetz darin münden, dass Unternehmen für die Zustände bei Zulieferern von Zulieferern etc., haftbar gemacht werden können. Denn diese Zustände können viele Unternehmen weder überblicken noch Einfluss darauf nehmen. Ein etwaiges Gesetz muss Haftungsklagen für die Zustände in der Liefer- und Wertschöpfungskette ausschließen. 

Sollte es zu einer Gesetzgebung über Sorgfaltspflichten kommen, muss diese neben der bereits genannten Verhältnismäßigkeit eindeutige und rechtssichere Angaben enthalten, was Unternehmen im Rahmen der Gesetzgebung tun müssen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Unternehmen sich aus denjenigen Ländern zurückziehen, die dringend auf die Investition deutscher und europäischer Unternehmen angewiesen sind und wo sie schon heute für Wachstum und bessere Standards sorgen. Das ist nicht im Interesse der Wirtschaft und sicher auch nicht im Interesse der politisch Verantwortlichen.  

Insbesondere KMU haben nicht die Ressourcen die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten zu überblicken und können daher nicht dafür zur Verantwortung gezogen werden. Auch Bestrebungen ein mögliches Gesetz nur für Unternehmen ab einer bestimmten Größe zur Geltung zu bringen, halten wir nicht für zielführend. Letztlich würden größere Unternehmen aufgrund ihrer Verhandlungsposition in den Wertschöpfungsketten die Sorgfaltspflichten vertraglich unverändert an kleinere Unternehmen weiterreichen. Kleinere Zulieferer werden sich aufgrund des enormen Bürokratieaufwuchses zurückziehen, womit der Mittelstand geschwächt wird. Eine Gesetzgebung zu Sorgfaltspflichten müsste in jedem Fall eine Lösung für dieses Problem beinhalten.  

Bisherige Leistungen anerkennen

Bei den berechtigten Sorgen, um die Menschenrechtslage in Drittstaaten und dem daraus resultierenden Wunsch Lösungen herbeizuführen, darf nicht übersehen werden, welche Fortschritte bislang bereits gemacht wurden. Schon heute gibt es zahlreiche Zertifizierungen und Engagements wie BSCI, Fair Trade, Rainforest Alliance u.a., die bei den Überlegungen zu einer Sorgfaltspflichtengesetzgebung berücksichtigt werden sollten. Immer mehr Zertifizierungssysteme berücksichtigen soziale Aspekte, was in zahlreichen Fällen sogar redundante Doppel- und Mehrfachzertifizierungen zur Folge hat. Der Handel mit zertifizierten Produkten leistet schon jetzt einen wichtigen Beitrag, um die Anforderungen eines möglichen Sorgfaltspflichtengesetzes zu erfüllen.

Unseres Erachtens ist die schrittweise weitere Ausweitung von Zertifizierungen der einzig richtige Weg. Die Umsetzbarkeit, die faktischen Einwirkungsmöglichkeiten hiesiger Unternehmen und die Auswirkungen auf deren Wettbewerbsfähigkeit sind dabei im Auge zu behalten. Einen regulatorischen deutschen Alleingang um den Preis der Existenzgefährdung kleinerer und mittelständischer Unternehmen gilt es zu verhindern. Aufgabe des Staates muss es sein, gerade KMU auf dem Weg der Implementation von Zertifizierungssystemen zu unterstützen und zu fördern. Bei der Anerkennung und Umsetzung von Zertifizierungssystemen gilt es der sektoralen Vielfalt Rechnung zu tragen. Auch renommierte privatwirtschaftliche Anbieter sind einzubeziehen. Nationale Insellösungen sind zu vermeiden und das Tempo der Umsetzung muss dem unterschiedlichen Entwicklungsstand in den einzelnen Sektoren Rechnung tragen. Letzteres gilt insbesondere mit Blick auf kleinbäuerliche Agrarstrukturen. Sektorspezifische Dialoge wären hier ein angemessenes Instrument, um zu praktisch umsetzbaren Lösungen zu kommen. Sondersituationen wie die Sicherstellung der weiteren Teilhabe deutscher Unternehmen am internationalen Börsenhandel mit Rohstoffen sind zu berücksichtigen. Außerdem muss die Arbeit in anerkannten Zertifizierungssystemen eine hinreichende Bedingung für die Erfüllung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten sein, sofern dem hiesigen Unternehmen keine Hinweise auf gravierende Regelverstöße vorliegen. 

Abschließend gilt es nochmals festzuhalten, dass es primär der Politik obliegt, sich für die Durchsetzung von Menschenrechten im Ausland einzusetzen. Dies bedeutet im Kontext der unternehmerischen Bemühungen um soziale und wirtschaftliche Verbesserungen zwingend auch einen deutlich gesteigerten Einsatz des hiesigen Staates, insbesondere auch des Auswärtigen Amtes und der deutschen Botschaften, für eine Überwindung von Missständen.